Starkes Debüt mit Schwächen
Ronja und Jannik führen ein Leben ohne Zukunft, seit sie als Kinder von einem gewissenlosen Entführer tief in den Wald verschleppt wurden. Eines Tages gerät die Situation außer Kontrolle, und die langersehnte Freiheit ist zum Greifen nahe. Doch was so lange ein Wunschtraum war, erscheint ihnen plötzlich fremd und beängstigend. Und die Jagd auf sie hat bereits begonnen …
Inhalt laut Verlag

Sprachgewaltig! Ein starkes Debüt! Und doch konnte es mich nicht gänzlich einnehmen, nicht so, wie es diese Geschichte mit vielen anderen Leser*innen schaffte. Hatte ich mir zu viel versprochen? Oder waren es falsche Erwartungen? Eigentlich habe ich nicht viel zu oder über dieses Buch gelesen, nur am Rande mitbekommen, wie begeistert es in der Buchwelt aufgenommen wurde. Und der Klappentext tat sein Übriges!
*KLICK MICH, um die aufklappbaren Triggerwarnung zu lesen*
Ein Mann, der Jäger. Seine Opfer, Kinder. Und viele Jahre im dunklen, dunklen Wald. Dies verändert die (entführten) Kinder, sie arrangieren sich mit ihrer Situation und beginnen es als ein Zuhause anzunehmen, allem Schmerz zum Trotz. Denn was bleibt ihnen übrig … Ihre Kindheit, das Aufwachsen innerhalb einer Hütte, um sie herum nichts als der Wald. Und Paps. Mit immer neuen Gesichtern die kommen und gehen. Mit Lügen. Mit Schmerz. Mit Tod.
Ronja und Jannik. Nika, Theo und Henna. Ihre Vorstellung von Liebe ist Gewalt. Ihr Leben beschränkt, auf die gemeinsame Einsamkeit. Eine Geschichte, die mich in die dunklen Schatten des Waldes zog. Beim Lesen ertönte immer wieder leise das Stockholm-Syndrom im Hinterkopf. Doch thematisch wird es nicht ausgearbeitet, nur angedeutet.
Ronja will fliehen und diese Flucht verändert das Leben aller in der Hütte. Freiheit ist ein Trugschluss nach all den Jahren. Die Sehnsucht nach einem nie gewollten Leben ist präsent. Wer zu lange in der Dunkelheit lebt, scheut das Licht und verbrüdert sich mit den Schatten. Im Kleinen bei Ronja mitzuerleben, weitaus umfangreicher bei Jannik zu spüren. (Doch) Der Fokus innerhalb der Geschichte lag auf Ronja. Nicht nur weil sie aus der Ich-Perspektive heraus erzählt, sondern auch den größten Raum innerhalb des Buches erhält. Sie leidet, wie alle Kinder in dieser Hütte, unter dem Einfluss von Paps. Seine Hände, grob und fordernd. Und doch ist er „Paps“. Ein Mann der zur Vaterfigur wird, dem bedingungslos gehorcht wird. Aus Angst. Aber auch aus Zuneigung und eben diese ist nur sehr leise spürbar. Versteckt zwischen den Zeilen. Wenn in dieser Hütte Gewalt Liebe ist, ist Angst Zuneigung. Eine Welt, abgeschottet von der Realität. Oder schlimmer noch, die pure und einzige Realität für die Kinder darin.
In dieser Wirklichkeit bedeuten Berührungen Schmutz und Schande, Zärtlichkeit schürt Angst, und Gefühle sind nur Märchen.
Seite 166
Die oben genannte Veränderung durch Ronjas Flucht ist bereits nach 70 Seiten zu erleben und kam für mich definitiv überraschend! Und eben daher ist das Augenmerk auf die Entwicklungen danach gerichtet und die oben genannten (Trigger)-Themen nur angedeutet. Erinnerungsfetzen, nicht mehr als das und doch so intensiv. Die Geschichte hat ihren ganz eigenen Sog und ich konnte das Buch kaum beiseitelegen. Die Beziehung zwischen Ronja und Jannik, Sehnsucht und Angst.
Insgesamt gibt es drei Perspektiven – Ronja, die Ermittlerin Sarah und Tagebucheinträge. Sarahs Sichtweise kann ich noch etwas nachvollziehen, denn sie ist dem Mysterium der verschwundenen Kinder auf der Spur, denn kein einziger Hinweis bleibt zurück. Das Kind für immer verschluckt von der Dunkelheit.
Sarah spricht mit Familie und Freunden, aber der Schmerz der Familie spielt nur eine kleine Rolle, verschwiegene Beobachtungen von Freunden sind nur ein kleiner Blick zurück in die Vergangenheit. Momentaufnahmen der Ermittlung.
Und dann die Tagebucheinträge. Da zunächst nicht deutlich hervorgeht, von wem diese Zeilen stammen, muss ich an dieser Stelle auf einen Spoiler hinweisen!
*KLICK MICH, um den aufklappbaren Spoiler zu lesen*
Ich hätte mir keine weitere Sichtweise gewünscht, sondern gerne auf eine verzichtet, wenn nicht gar zwei. Bei den Ermittlungen fehlten mir die Emotionen der Betroffenen. Zu schnell werden diese Szenen abgehandelt. Die Tagebucheinträge zogen mich aus der Geschichte heraus.
Es wäre für mich einnehmender gewesen, wenn es nur eine Sichtweise gegeben hätte. Mehr von Ronja und Jannik. Die Auswirkungen jahrelanger Gefangenschaft, die Verbundenheit der Kinder. Während Ronja und Nika wie Katz und Maus miteinander umgehen, so entwickelt sich zwischen Jannik und Theo eine Art Konkurrenz, auf eine ganz eigene Weise. Und mittendrin die kleine Henna die all diese Erlebnisse kaum verarbeiten kann, sich an Ronja schmiegt um nicht vom Wald verschluckt zu werden. Besonders Jannik hätte ich intensiver erleben wollen, ein sehr vielschichtiger Charakter!
Vielerlei Emotionen begegneten mir in diesem Buch! Psychologisch, einnehmend, aber kein Thriller im „klassischen“ Sinne. Hoffnung in karger Dunkelheit. Liebe in all dem Schmerz. Ein anderer Blick auf die Auswirkungen. Und ein Monster welches lange Schatten wirft, denn Freiheit bedeutet noch lange nicht frei zu sein. Auch wenn ich mir mehr Intensität gewünscht hätte und einige Kritikpunkte genannt habe, so hat mich die Autorin Michaela Kastel mit ihrem Stil überzeugt! Die Art wie sie Ronja und Jannik geschrieben hat, hat mich fasziniert und ich bin neugierig auf eine weitere Geschichte aus ihrer Feder!

– BUCHDETAILS –
Titel: So dunkel der Wald
– Einzelband –
Autorin: Michaela Kastel
Hardcover: 304 Seiten
Verlag: emons
Hallöchen,
diesmal lasse ich mich wieder einmal zu einem Kommentar hinreißen, was ich eindeutig viel zu wenig mache, obwohl ich ständig bei Euch abhänge…oft stundenlang.
Dieses Buch ist auch auf meiner WL und ich schätze es wird auch darauf bleiben. Du hast mich in gewisser Weise mit Deiner Rezi noch neugieriger auf dieses Buch gemacht. Nicht nur weil es ein Debüt ist, sondern auch von der Psychologie her, die dem Buch inne zu wohnen scheint.
Also vielen Dank für diese Rezension.
So, und ich stöbere noch bissl rum hier.
Liebe Grüße
Conny
Hach, ich freue mich immer sehr wenn du kommentierst, es bringt so Spaß – auch wenn wir uns ab und wann in Worten verlieren :D *-* Lass es auch unbedingt auf der Wunschliste, die Art wie die Autorin die Geschichte erzählt ist wirklich einnehmend und Bildgewaltig. Ich hätte auch nur aus Ronjas Perspektive lesen können, da war für mich einfach eine zu viel enthalten … Psychologisch ist es wirklich interessant, da es eine andere Perspektive dieser Situation einnimmt. Kein Opfer in der Klischee-Rolle, sondern was passieren kann, wenn man zu lange an solch einem Ort fest sitzt, gefangen gehalten wird.… Weiterlesen
Hallo Janna,
das klingt fesselnd, aber irgendwie etwas unausgegoren. Weiß nicht, ob ich es unbedingt lesen müsste…
Danke für die Vorstellung!
Viele Grüße, Heike
Huhu Heike,
unausgegoren ist es absolut nicht! Aber auch nicht das was ich erwartet hatte und mir persönlich eine Sichtweise zu viel. Aber thematisch ist es einnehmend und hat einen ganz anderen Blick auf diese Situationen, mich konnte es nur einfach nicht so begeistern wie viele andere Leser*innen. Es hätte tiefer und psychologischer sein dürfen, ohne Antworten in der Vergangenheit zu skizzieren.
Mukkelige Grüße!